Mit der polemischen
Unterschriftenaktion hat die CDU die Landtagswahl in Hessen gewonnen.
Was hältst Du von der doppelten Staatsbürgerschaft?
Wichtig ist, den vielen ausländischen
Mitbürger die Einbürgerung zu erleichtern. Die Duldung der doppelten
Staatsbürgerschaft ist dabei nicht das eigentliche Ziel sondern wir
nehmen sie hin, weil es Menschen helfen kann, die Brücke in ihre alte
Heimat nicht völlig abzuschneiden. Es ist schon ziemlich schäbig, daß
die CDU falsche Behauptungen aufstellt; beispielsweise es kämen
600.000 weitere türkische Familienangehörige oder mit der PKK würden
weitere Kriminelle kommen – dies ist alles falsch. Unser
Gesetzesentwurf sagt sehr klar: Diejenigen die acht Jahre hier ihren
Aufenthalt haben, nicht straffällig geworden sind, für ihren Unterhalt
sorgen und sich zu unserer Verfassung bekennen, würden wir gerne
integrieren. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist dabei ein Hilfsmittel
nicht mehr und nicht weniger.
Wie geht es jetzt
nach der Hessenwahl weiter mit der Änderung des
Staatsbürgerschaftsrecht?
Wir müssen jetzt Kompromisse suchen.
Wir haben keine eindeutige Mehrheit mehr im Bundesrat, die CDU
allerdings auch nicht. Es wäre gut, wenn die Frage der Integration von
einem breiten Konsens in der Gesellschaft getragen wird. Ich würde es
sehr begrüßen, mit der FDP eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten, welche
die doppelte Staatsbürgerschaft entweder für junge Leute hinnimmt oder
nur für eine Übergangszeit von 10 bis 20 Jahren gelten könnte.
Wie siehst du als
Mitglied des Verteidigungsausschusses den Einsatz deutscher Soldaten
im Kosovo?
Man kann auch als Pazifist im
Verteidigungsausschuß mitarbeiten. Pazifismus heißt für mich aber
auch: Dort wo Menschen in Not sind, mit militärischer Gewalt bedroht
werden, müssen wir auch bereit sein, uns vor diese bedrohten Menschen
zu stellen. Darum geht’s im Augenblick im Kosovo. Derzeit wird in
Paris mit den Konfliktparteien verhandelt. Und wir hoffen, daß es zu
einer einvernehmlichen Regelung kommt. Nun hat die Erfahrung auf dem
Balkan allerdings gezeigt: Verträge werden nicht eingehalten. Deshalb
müssen wir auch mit militärischer Macht dafür sorgen, daß die Verträge
durchgesetzt werden. Die Bundesregierung wird ihren Beitrag zu dieser
europäischen Aufgabe leisten.
Wie fühlt man sich in
der großen Politik im Bundestag?
Ich fühle mich ebenso wie in der
Kommunalpolitik, denn Politik ist auf allen Ebenen gleich wichtig.
Besonders spannend ist für mich, in Bonn neue Erfahrungen sammeln und
Neues erlernen zu können. Ich freue mich mit vielen, die mir geholfen
haben, daß es jetzt im dritten Anlauf geklappt hat. Ich freue mich auf
die Arbeit, die auch eine große Verpflichtung ist, für die Menschen
hier im Wahlkreis etwas zu bewirken.
Muß man in der
Politik klein anfangen, um ganz nach oben zu kommen?
Ich bin wie viele andere Politiker
auch den mühsamen Weg gegangen: Vom Ortsverein über den Gemeinderat,
Kreistag und das Regionalparlament bis jetzt nach 27 Jahren Engagement
in den Bundestag. Ich halte es aber für einen guten Weg, wenn Leute,
die Politik auf kommunaler Ebene erlernt haben, dies mit nach Bonn
nehmen. Politiker verlieren so nicht ohne weiteres den Kontakt zu den
Menschen. Natürlich tut der Politik ein Quereinsteiger gelegentlich
gut. Das Verhältnis muß stimmen.
Die Bonner Politik
nimmt Dich sicher sehr in Anspruch, bist du trotzdem noch für Deine
WählerInnnen da, wie bis t Du zu erreichen?
Die Hauptarbeit wird tatsächlich hier
im Wahlkreis geleistet. Wir haben ein Wahlkreisbüro in Nürtingen
eingerichtet. Ich bin im Wechsel je eine Woche dort und eine Woche in
Bonn zu erreichen.
Für Deine Familie ist
Dein Erfolg sicher ein großer Einschnitt. Wie geht sie damit um?
Natürlich haben sie sich zunächst
über meine Wahl gefreut. Andererseits sind die häufigen Aufenthalte in
Bonn schon ein Einschnitt. Nach so vielen Jahren ehrenamtlichem
Engagement, ist es meine Familie aber auch gewohnt, daß man viele
Abende nicht zu Hausen sein kann.
Als junge Menschen
beschäftigt uns besonders die Jugendarbeitslosigkeit. Was unternimmt
die neue Regierung?
Die Bundesregierung hat hier Wort
gehalten. Wir haben ein Sofortprogramm aufgelegt, das dafür sorgen
wird, 100.000 arbeitslosen Jugendlichen Weiterbildung, Ausbildung oder
einen Job zu ermöglichen. Im Landkreis Esslingen werden 7 Mio Mark
mehr zur Verfügung stehen, um Jugendlichen wieder eine Perspektive zu
geben. Jungen Menschen Chancen zu bieten, ist für mich eine zentrale
Aufgabe. Jugendliche, die einige Jahre keinen Job haben, können auf
lange Sicht für den Arbeitsmarkt verloren gehen. Manche müssen auch
wieder lernen, zu lernen und zu arbeiten. Dazu kann das Programm sehr
viel beisteuern.
Gibt es für die
Verteilung der Fördergelder feste Richtlinien von der Bundesregierung?
Es ist zum ersten Mal ein Programm,
das nicht überreguliert ist, daß heißt die Arbeitsämter können aus
einem Baukasten der Möglichkeiten Projekte heraussuchen, die für ihre
Region am besten passen. Es wird bereits von den Ämtern mit großem
Engagement umgesetzt, weil sie die Chance haben, ohne bürokratische
Hemmnisse zu helfen.
Finanzminister
Lafontaine sprach immer wieder von der Nachfragepolitik. Wo sind da
die Impulse der Bundesregierung?
Oskar Lafontaine sagt, wir brauchen
beides: Wir brauchen ein nachfrage- und eine angebotsorientierte
Wirtschaftspolitik. Tarifpolitik kann die Nachfrageseite allein
überhaupt nicht regeln, wenn die Menschen auch weiterhin Netto zu
wenig in der Tasche haben. Deshalb setzten wir in drei Etappen eine
Steuerreform um, damit Durchschnittsverdiener mehr Geld am Monatsende
übrig haben. Der Einstieg in die ökologische Steuerreform wird für
eine Senkung der Lohnnebenkosten sorgen. Mit den Ökosteuereinnahmen
werden nicht etwa Haushaltslöcher gestopft, wie es Kohl getan hat. Die
Mehreinnahmen werden zu 100 Prozent für die Senkung der
Sozialversicherungsbeiträge eingesetzt.
Die SPD will aus der
Atomenergie aussteigen. Wann gehen denn nun die letzten Atommeiler vom
Netz?
Wir werden Zeit brauchen um
Zwischenlager zu bauen. Wir wollen einen Ausstieg ohne
Regressansprüche an den Staat. Dies kann nur in Kooperation mit den
Kraftwerksbetreibern funktionieren. Ein Kernkraftwerk wird nach etwa
20 Jahren unwirtschaftlich, nämlich dann wenn für hunderte Millionen
Mark Nachrüstungen vorgenommen werden müssen. Das wäre für mich ein
sinnvoller Zeitpunkt, die Kraftwerke abzuschalten. Unser Hebel muß die
Wirtschaftlichkeit sein. Atomstrom ist in Wahrheit kein billiger
Strom, wenn wir ehrlich rechnen. Strom aus Gas- und Dampf-Kraftwerken
ist bereits wesentlich kostengünstiger. Da müssen wir ansetzen.
Es geht aber nicht so sehr um einen
Ausstieg sondern um einen Einstieg in eine neue Art der
Energiewirtschaft. Wir brauchen viel mehr Solaranlagen; auch im Kreis
Esslingen. Das 100.000 Dächer Programm setzt in unserem Landkreis
Investionen von ca. 10 Mio Mark frei. Das hilft besonders dem
örtlichem Handwerk. Wir brauchen eine stärkere Förderung von
regenerativen Energien und wir müssen dezentrale Versorgungsstrukturen
aufbauen. Dies wird, ebenso wie der wichtigste Beitrag - das
Energiesparen - einige Jahre in Anspruch nehmen.
Was kann die
Bundesregierung gegen Beschlüsse zur Bildungsreform tun, über die ja
die Lände entscheiden?
Für eine seriöse Bildungspolitik
müssen die Mittel für Bildung, Weiterbildung und Forschung erhöht
werden. Trotz knapper Haushaltsmittel ist es uns gelungen bereits in
diesem Jahr diesen Etat zu erhöhen. Die CDU hat die Bildungs- und
Forschungsausgaben in den vergangenen Jahren mehr und mehr
zusammengestrichen. Wir werden ein Gesetz erlassen, daß den Ländern
untersagt, Studiengebühren zu erheben.
Was macht Rainer
Arnold an Silvester 2000?
Ich werde Silvester zusammen mit
Freunden feiern, wie in den vergangenen 48 Jahren auch.
Welchen Hobbys gehst
Du noch nach?
Mir bleibt leider wenig Zeit. Gerne
würde ich Gitarre spielen, mich auch wieder mal ans Schlagzeug setzen.
Das kommt eindeutig zu kurz. Im Winter fahre ich ein bißchen Ski, und
im Sommer Fahrrad. Politik ist in der Tat kein Job, den man abends
abschalten kann. Sondern verlangt ein Engagement von 60 bis 70 Stunden
in der Woche. Ich klage aber nicht darüber, ich habe es so gewollt.
(Das Interview führten An Vu Ngoc
und Daniela Wolff von den Filderstädter Jusos) |